Pandora

Auszug aus: Anna Egerter (2021): Regen in der Dose

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Die Büchse der Pandora

Der antike Mythos der Pandora ist wohl der berühmteste Mythos von einer Frau und einem Behältnis. Jedenfalls ist die „Büchse der Pandora“ zum geflügelten Ausdruck und gängiges Symbol von drohendem Unheil geworden. Beliebt ist ihr Name in allen kulturellen und wirtschaftlichen Sparten, als Name für Restaurants, Juveliergeschäfte oder Aktiengesellschaften. Der genaue Ablauf des Mythos ist jedoch oft unbekannt, neblig schwingt im Namen nur mit: Büchse, Verführung, Öffnung, Desaster, Schuld, Hoffnung.
Die Geschichte der Pandora ist keineswegs eindeutig und die Versionen verzweigen sich bei genauerem Hinsehen in zahllosen detaillierten Verästelungen. Das Pandora-Motiv mit seinen Veränderungen, Missverständnissen und verschiedenen Auslegungen über die Jahrhunderte gleicht einem „Faß ohne Boden“. Bereits in den griechischen Urtexten unterscheiden sich die Erzählungen (die des Dichters Hesiod mitsamt seinen Nachfolgern z.B. von der des Babrios), besonders deutlich hebt sich aber die heute gängige Version ab durch die Veränderung ebenjener Dose, die hier im Zentrum des Interesses steht. Dieser Büchse, die den Ausdruck prägte und es in fast alle europäischen Sprachen geschafft hat, als: Pandora’s box, Pandoras ask, boite de Pandore, caja de Pandora, doos van Pandora, Büchse der Pandora.
Zunächst die bekannteste Erzählweise, die vom Bauern und Dichter Hesiod erstmals im 8. Jahrhundert v.Chr. schriftlich fixiert wurde und die gerade an der Stelle ebenjener Büchse, um die sich so viele eindrückliche Sprachbilder geformt haben, durch keinen anderen als den berühmten Erasmus von Rotterdam geprägt wurde:
Pandoras Büchse ist die Strafe des Zeus für das Überbringen des Feuers durch Prometheus. Letzterer wollte als Schöpfer des ersten Menschen (einem Mann) selbigem das Feuer vom Himmel auf die Erde bringen, gewissermaßen als erstes Werkzeug, um ihn vom Rohes fressenden Tier abzuheben. Im Zorn über diese anmaßende Ketzerei der Menschen lässt Zeus von Hephaistos, dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst, eine Frau aus Wasser und Erde herstellen. Diese wird sodann reich von allen Göttern ausgestattet: Athene und Aphrodite schenken ihr beispielsweise einen schönen Körper und edle Kleidung, von Hermes bekommt sie Mut, Verwegenheit, List und eine gewandte Sprache. So von den Göttern begabt soll sie als Rache für Prometheus Feuerraub alles Leid und Übel auf die Erde bringen – in einer Büchse, die sie mit sich führt. Hermes begleitet Pandora zu Prometheus, welcher in scheinbar weiser Vorausschau (er ist der, der „davor-denkt“) ablehnt und seinen Bruder Epimetheus warnt, bloß keine Geschenke, vor allem keine Göttergaben in seiner Abwesenheit anzunehmen. Wie aber der Name verrät, ist Epimetheus der „Danach-denkende“. Der Warnung zum Trotz heiratet Epimetheus die schöne und schlaue Pandora. Eine grammatikalische Zweideutigkeit lässt unklar, wer die Büchse öffnet: Pandora oder Epimetheus, durch seine Frau dazu verführt. Jedenfalls wird die Dose geöffnet, alles Leid und Übel (Krankheiten, Schmerz, Arbeit, Tod, usw.) entschlüpfen ihr und verteilen sich auf der Welt, nur eines bleibt zurück: die Hoffnung. Bevor diese entfleuchen kann, schlägt Pandora den Deckel wieder zu.
Der Mythos um Pandora ist eine griechisch-antike Erzählung von der Entstehung der Geschlechter und der Menschheit. Im 8. Jahrhundert n.Chr., einer Zeit des Übergangs von einflussreichen Familiendynastien zum mächtigen Staatskörper der polis, des Stadtstaates, verbreiteten sich im antiken Griechenland und in Judäa mehrere Schöpfungsgeschichten, in denen der sogenannte Sündenfall des Menschen erzählt wird. Sowohl in der griechischen als auch in der jüdisch-christlichen hat darin Schuld an Tod, Leid und Elend auf der Welt: die Frau. Gemäß Hesiod lebten, bevor es Frauen auf der Erde gab, die Männer nämlich sorglos und in gar seligem Einklang mit der Götterwelt „fern von Üblen, elender Mühsal und quälenden Leiden“.
Der Halbgott Prometheus aber, der nicht wollte, dass die von ihm geschaffenen Männer ihr Fleisch roh essen müssen wie Tiere, raubte das Feuer von den Göttern und brachte es auf die Erde. Aus Wut über diese Tat schickte Zeus also ein Kalon Kakon, ein schönes Übel, eine Frau mit „hündische[m] Sinn und verschlagene[r] Art“, „an dem jeder seine Herzensfreude haben und doch sein Unheil umarmen soll.“
In diesem bis heute bekannten griechischen Entstehungsmythos ist die Frau ein Göttergeschenk, das Strafe ist. Philosophisch untermauert wurde diese misogyne Perspektive durch Platon und Aristoteles, auf deren Fundament das Christentum steht. Der griechische Mythos von Pandora und ihrer bösen Büchse findet in der biblischen Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva seine Entsprechung.
Die griechischen Quellen variieren dabei wie bereits erwähnt in einigen Details. Ein ausdrückliches Verbot, das Gefäß zu öffnen, gibt es beispielsweise in den Originaltexten nicht. Weiter unterscheidet sich der Inhalt des Gefäßes in den berühmten Versionen des Hesiods und Nachfolgern zu der Version des Babrios: bei letzterem enthält das Gefäß nicht etwa alle Übel, sondern bisweilen sogar alle Güter dieser Welt, Wissen und Weisheit. Als Einziger interpretiert Babrios die Geschichte um Pandora nicht als Urmythos weiblicher Hinterlist, sondern als „Kommentar über die tragische Wahl des Menschen zwischen Wissen und Zufriedenheit“. Bei dieser Version stellt Zeus das Gefäß bei Epimetheus im Haus ab, es steht gewissermaßen unauffällig zwischen Vorratsbehältern und hat zunächst nichts mit Pandora zu tun. Diese allerdings öffnet es voll Neugier und so entfleuchen alle guten Dinge und sind für die Menschheit verloren. Zurück bleibt einzig die Hoffnung.
Es wird außerdem darüber gemunkelt, ob der eigentliche Ursprung des Pandora-Mythos nicht etwa in einer all-beschenkten schönen, aber Unheil bringenden Frau liegt, sondern in einer alles-schenkenden Erdgöttin. (Pan-dóra bedeutet auf altgriechisch nämlich etwa All-geschenk, all-beschenkt, all-begabt oder all-gebend.) Diese Ketzereien verlieren sich aber in wagen Mutmaßungen übers Dunkel der Vorzeit.
Auch über die Hoffnung im Gefäß wurde immer wieder gestritten. Bedeutet das Zurückbleiben derselben nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Ist sie dadurch den Menschen nun zugänglich oder eben gerade nicht? Oder ist sie gar selbst ein Übel? Nietzsche betrachtet diese einzig zurückbleibende Göttergabe, die Hoffnung, beispielsweise paradox: das letzte, was dem Menschen in seinem Behälter geblieben ist und als sein einzig wirkliches Göttergeschenk betrachtet, sei in Wahrheit das „übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“
Die heute bekannteste, „moderne“ Version ist einerseits stark durch die Rezeption der christlichen Kirchenväter geprägt, welche in der Pandora eine antike Entsprechung der Eva zu installieren suchten. Weiterhin war es kein anderer als der berühmte Erasmus von Rotterdam, der die heutige Erzählweise beeinflusste. Erst Ende des 15. Jahrhundert waren die Texte des Hesiods auf Latein zugänglich, so taucht das Motiv der Pandora und ihrer Büchse erst ab diesem Zeitpunkt vermehrt in Kunst und Literatur auf. Gleich zweimal findet es Erwähnung in Erasmus von Rotterdams extrem einflussreichen Veröffentlichung Adagiorum chiliades tres von 1508 – darin zum ersten Mal mit ebenjener berühmten Büchse.
In durchweg allen antiken Urtexten handelt es sich bei dem Gefäß, welches im Mittelpunkt des Mythos steht, nämlich nicht um eine handlichen Dose oder Büchse, wie sie auf den meisten Abbildungen seit der Renaissance zu sehen ist, sondern um einen pithos (lat. dolium) g ein großes, oft bauchiges, tönernes Vorratsgefäß, wie es zum Aufbewahren von Nahrungsmitteln wie Öl oder Wein üblich war.
Ein klobiger, relativ immobiler Behälter, ein Vorratsfass, ein ausladender Tonkrug (im Mythos: mit großem Deckel), etwas, was in griechischen Haushalten dieser Zeit selbstverständlich vorhanden und notwendig war. Der große Vorratsbehälter, der pithos, wird mit Erasmus von Rotterdam zur kleinen und transportablen pyxis, zur box, zur Büchse, die auf zahllosen Abbildungen seit der Renaissance zu sehen sind und die gängige Vorstellung heute prägt.
Auf der ersten künstlerischen Darstellung der Erasmischen pyxis aus der Renaissance öffnet Pandora eine relativ kleine, flache runde Dose. Heraus kommen wie aus einem Blitz alle Übel in menschlicher Gestalt, hier als die Sieben Todsünden. Vom Rand der Dose hängt die Krähe, ein Symbol für die zurückbleibende Hoffnung.
Man könnte sagen, dass es die Kunst war, welche „den Schlußstrich unter die erasmische Häresie“ zog, denn – bis dahin äußerst ungewöhnlich – erst seit der Renaissance wurde sie in England in einer Form dargestellt, „die einem [ ] inzwischen ganz von allein in den Sinn kommt, sobald man den wohlbekannten Ausdruck hört, und zwar als Behältnis, das der Größe nach zwischen einem Schmuckkästchen und einer Seemannskiste schwankt (und mehr und mehr zu einem kostbaren, mitunter reich verzierten objet d’art gerät)“, als rechteckige oder runde Dose, ähnlich einer Pillen- oder Puderdose.

Wieso aber macht Erasmus von Rotterdam aus dem großen pithos eine kleine pyxis? An fehlenden Sprachkenntnissen kann es nicht gelegen haben. Eine kleine Dose: scheinbar harmlos, dabei schön und reizend, Neugier weckend, Schätze versprechend – verführerischer als der gewöhnliche, klobige Vorratsbehälter. Doch die pyxis der Pandora ist trügerisch. So eine kleine hübsche Dose, in der so viel Schrecken haust. Das macht die Geschichte irgendwie dramatischer. Und Pandora fieser. Verschiedene Aspekte dieser kleinen aber feinen Änderung sind interessant. Erasmus gibt Pandora eine Dose mit – wie bereits dargelegt, weibliches Attribut schlechthin. Er unterstreicht damit zum einen die Lesart der christlichen Kirchenväter, die Pandora ähnlich der Eva als erste Frau ganz explizit mit ebenjenem Attribut verknüpft, das sie dem Geschlecht der Frauen zuordnet. Weiterhin verspricht die im Gegensatz zum klobigen pithos sehr handliche pyxis leichten Transport (es ist die perfekte Reisedose – wie hätte Pandora auch einen riesigen pithos vom Himmel auf die Erde schleppen sollen?). Die Büchse ist mobil. Sie eignet sich besser als Geschenk und Mittel der sozialen Kommunikation als das unbeweglichere, fette Fass. So verschiebt sich die Emphase von etwas, das Pandora lediglich im Haus/auf der Welt vorfindet, zu etwas, was sie aus dem Himmel mitbringt. Pandora nicht als neugierige Unheilfinderin sondern als betrügerische Unheilbringerin.
Einige Kunsthistorikerinnen gehen davon aus, dass Erasmus den Pandoramythos in diesem Detail mit einer Episode aus der römischen Literatur vermischt: mit Psyche von Apuleius. Diese soll bei der vierten der ihr von Venus auferlegten Prüfungen eine Dose (pyxis) hinab in den Hades und diese gefüllt mit etwas von Persephones Schönheit wieder heraufbringen. Ganz ausdrücklich darf sie Dose nicht öffnen – aber natürlich erliegt sie der Neugier und schaut auf dem Weg nach oben in die anziehende Dose. Sofort fällt sie, wegen der daraus hervorströmenden Dämpfe, in Ohnmacht. (Cupido rettet Psyche, indem er sie zum Leben erweckt und das Gefäß wieder sicher verschließt und ihr so hilft, ihre Aufgabe zu Ende zu bringen.)
Auch das schöne Äußere der Dose (und der Pandora?) ähnelt einem Detail aus der Erzählung der Psyche: Bei deren dritten Aufgabe von Venus soll sie nämlich in einer hübschen kleinen Kristallvase das „Unglück bedeutende stygische [ ] Wasser“ mitbringen. Schönes Äußeres, böser Inhalt.
Der Größe des Behälters ungeachtet: Pandora hat ein tönernes Gefäß. Pandora ist ein tönernes Gefäß. Sie ist geformt worden aus Lehm und Wasser, wie der Vorratsbehälter. Geschmückt haben ihn die Göttinnen, gefüllt haben ihn die Götter. Ihre Gaben hineingelegt, den Inhalt gegeben. Die schöne Hülle ist Fassade, Lüge. Ihre Büchse erscheint wie eine Metonymie für Pandora selbst. Pandora, die böse Dose. Außen hui, innen pfui. Finger weg.
In dieser mythologischen Dosenhaftigkeit der ersten Frau klingen viele misogyne Aspekte an. Eine historische Kontextualisierung erklärt wohl nichts vollends, aber vertieft ein wenig das Verständnis für die Zeit, die materiellen Umstände und den geistigen Boden, auf dem die Erzählungen um den Sündenfall, die beiden beschriebenen Menschheitsentstehungsmythen gewachsen:
Die Verachtung der leiblichen, sinnlichen, materiellen (lat. mater g Mutter) Welt, welche in der Zeit der einflussreichen griechischen Philosophen u.a. auch durch Seuchen, Bürgerkriege und Hungersnöte mit begründet lag, führte in der Philosophie Platons beispielsweise zur Ideen- oder Formenlehre, bei der alles Sichtbare auf der Welt nur ein Abbild einer absoluten Idee ist. Also: jede Maus ist nur die imperfekte Verkörperung einer perfekten geistigen Idealmaus.
Dem sterblichen, von Krankheit betroffenen Körper war nicht zu trauen, er wurde als „etwas grundsätzlich Schlechtes“ angesehen. Bei Aristoteles, einem der wohl größten Frauenhasser der Geschichte, galt die Frau mehr oder weniger als misslungener Mann, der auch bei der Fortpflanzung lediglich die Rolle der Hülle zukam. Der weibliche Körper als nährende aber sonst passive, inferiore Dose für den männlichen Samen, welcher „Träger der Seele oder des Geistes [ ] und alle Anlagen des fertigen Menschen“ ist. Die Frau als Äußeres, Äußerliches, materiell verhaftetes Ding. Dieses Ding, das in seiner Verstümmelung und Verdinglichung zugleich begehrt wie verachtet wird, eben wegen des Begehrens, das verführt zur Welt der Sinne, welche aber im „ewigen Widerstreit mit der höchsten Erkenntnis: der Erkenntnis Gottes“ liegt.
In der Angst vor der Dose liegt die Angst vor dem Tod, die Angst vor dem Leben.
Die dualistischen Polaritäten, die im Pandoramythos mitschwingen, (zwischen Form und Inhalt, Körper und Geist/Seele, Wohl und Übel, Geschenk und Strafe, Mensch und Tier, Mann und Frau) sind paradox, wenn er als Geschichte über die Tragödie der Kultur gelesen wird. Denn: Prometheus raubt das Feuer für den Mensch (Mann), um ihn vom Tier abzuheben. Das Feuer steht für Naturbeherrschung durch Technik, dadurch wird er von den Göttern getrennt und als Strafe schickt Zeus die Frau.
In einem Behälter, sei es ein Fass oder eine kleine Büchse, bringt sie alles Schlechte mit auf die Welt.
Paradox ist dabei, dass das technoheroische „Prometheusprinzip“ ein sogenanntes männliches ist, während das weibliche eben mit jener Naturverbundenheit assoziiert wird, die laut dem Mythos verloren ging durch den Feuerraub des Prometheus. Dass also gerade die Frau mit ihrer Dose die Strafe darstellt für den zu macht- oder wissenshungrigen Mensch-Mann, ist ein seltsames Paradox, das an das psychologische Prinzip der Verschiebung erinnert. Sogar der Wissenshunger, die Neugier, wird der Frau als Laster angehängt.

„[In] der dualistischen Weltsicht der Griechen verkörpert die Natur die Schwächen und Grenzen des Menschen, und die Frau verkörpert die Natur. Das macht sie für den Mann zur verhassten, Fleisch gewordenen Mahnung, die ihn permanent an seine Schwächen erinnert. Das ist die Sünde der Pandora und ihrer Töchter, für die das Patriarchat, von seinen Märchen bis zu seinen philosophischen Lehren, alle Frauen bestrafen will.“

Dose und Frucht

Ähnlich wie beim christlichen Sündenfall, geht es im Pandora-Mythos um Wissen und Erkenntnis, um Neugier und Schuld, um Leid und Tod, um die Frau als unheilbringende Verführerin und den Mann als armen Sünder, Opfer einer weiblichen List.
Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind die Überlieferungen des Mythos u.a. durch die spätmittelalterlichen Kirchenväter geprägt worden, die bemüht waren, den christlichen Mythos von der Erbsünde und der Vertreibung aus dem Paradies durch eine antike Parallele zu bestätigen, Pandora zum Pendant der christlichen Eva zu stilisieren. Auch sie: „erste Frau, das schöne Unheil“, Quelle allen Übels auf der Welt.
Der frühchristliche Philosoph Origines (185-254 n.Chr.) vergleicht den Pithos des Pandora-Mythos erstmals ausdrücklich mit der christlichen verboten Frucht am Baum der Erkenntnis.
Später schreibt ein humanistischer Theologe der
französischen Renaissance, Jean Olivier, Mitte des 16. Jahrhunderts:

„Eva [ ] öffnete die verbotene Frucht durch ihren Biß, und dadurch kam der Tod in die Welt. Genauso öffnete Pandora die Büchse wider göttliches Gebot, wodurch all die Übel und unendlichen Plagen losbrachen und den unglücklichen Sterblichen unermeßliches Elend zufügten, wohingegen das einstige Glück mitsamt seinen Tugenden sich zum Himmel kehrte, und nur die Hoffnung zurückblieb.“

Die Frucht und die Dose? Ist es gar eine Hülsenfrucht? Meist wird die verbotene Frucht am Baum der Erkenntnis als Apfel dargestellt.

„Als verbotene Frucht im Paradies wird der Apfel im Christentum vor allem Sinnbild der Sünde und des Todes. Durch die Wortgleichheit von Apfel und dem Bösen im Lateinischen (malum) wurde im Westen meist der Apfel mit der Frucht der Erkenntnis gleichgesetzt (1. Mose 3). [ ] In der Sexualsymbolik werden Äpfel mit Brüsten verglichen und das Kerngehäuse des aufgeschnittenen Apfels mit der Vulva.“

Auch auf manchen künstlerischen Abbildungen gibt es deutliche Verknüpfungen von Dose und Vulva als Sinnbild des drohenden Übels durch Pandora. In der Funktion eines Feigenblatts hält beispielsweise die Pandora von Abraham van Diepenbeck die Dose vor ihr Geschlecht:

„Es scheint, dass der Urheber dieser Gemälde sie [Pandora] nicht ohne Grund so darstellte, dass sie ihre Dose, die sie in der rechten Hand hält, auf den Teil senkt welchen sie verdeckt, von wo aus so viel Elend und Sorge zwischen Männern hervorgegangen sind; als ob er sagen wollte, dass aus der dem Brunnens der Freuden immer etwas Bitterkeit entspringt und etwas, das zwischen den Blumen sticht.“

Auch der Künstler Paul Klee sieht scheinbar eine Verbindung, eine Ähnlichkeit von Büchse und Vagina. In seiner Zeichnung von 1920 mit dem Titel Die Büchse der Pandora als Stilleben stellt er selbige als kleines Behältnis, als eine Vase, einen Kelch oder Pokal dar. Sie enthält etwas, was entfernt an Blumen erinnert. In der unteren Mitte strömen Qualm oder „üble Dämpfe“ aus einer Öffnung, die ziemlich explizit einer Vagina ähnelt.

Wenn wir uns an dieser Stelle an die Ausdrücke aus Vulgär-, Jagd- und Umgangssprache erinnern, sowie an die tiefenpsychologische Symboldeutung nach Freud, und diese durch die beiden Menschheitsentstehungsmythen und Sündenfallerzählungen ergänzen, so sind sich wohl viele einig: Die Dose steht als Symbol für die Vulva und das weibliche Geschlecht selbst.

Alles Leid und Übel auf Erden kam also aus der Büchse der Pandora, aus dem Apfelkerngehäuse der Eva, aus der Vagina der Frau. Das unheilbringende Öffnen des Fasses/der Büchse oder der Biss in die Frucht stehen so symbolisch für das Verlieren der sog. Jungfräulichkeit, für den ersten penetrierenden Geschlechtsakt mit einem Mann bzw. fürs männliche Verfallen gegenüber der Frau mitsamt ihrer Körperlichkeit. Körperliches Begehren, das zum Unheil, zum Tod führt.
Über die Einheit von Körpersein und Körperlieben und Sterblichsein, wie über die versuchte Trennung von Leben und Tod ließen sich ganze Bände füllen. Obwohl dies ein sehr spannendes, weil gewichtiges Thema wäre, muss ein ausführlicheres Nachdenken darüber an der Stelle anderen überlassen bleiben.
Die Erzählung von Pandora und ihrer bösen Dose ist ein patriarchaler und misogyner Mythos über die Entstehung der Menschheit. Die symbolische Verknüpfung der Dose mit Weiblichkeit findet allerdings eine versöhnliche Entsprechung in einem Text der amerikanischen Science Fiction Autorin Ursula K. Le Guin, die eine feministische Perspektive auf den „Ursprung“ der Menschheit bzw. der Kultur wirft.

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